Donnerstag, 7. April 2011

Die nationale Work-Life-Balance der Deutschen


Karl Marx: Das Kapital (8. Kapitel: Der Arbeitstag)

Das Arbeiterpersonal wurde manchmal in 12 bis 15 Kategorien verteilt, die selbst wieder ihre Bestandteile beständig wechselten. Während der fünfzehnstündigen Periode des Fabriktags zog das Kapital den Arbeiter jetzt für 30 Minuten, jetzt für eine Stunde an und stieß ihn dann wieder ab, um ihn von neuem in die Fabrik zu ziehn und aus der Fabrik zu stoßen, ihn hin und her hetzend in zerstreuten Zeitfetzen, ohne je den Halt auf ihn zu verlieren, bis die zehnstündige Arbeit vollgemacht. 

Wie auf der Bühne hatten dieselben Personen abwechselnd in den verschiednen Szenen der verschiednen Akte aufzutreten. Aber wie ein Schauspieler während der ganzen Dauer des Dramas der Bühne gehört, so gehörten die Arbeiter jetzt während 15 Stunden der Fabrik, nicht eingerechnet die Zeit, um von und zu ihr zu gehn. Die Stunden der Rast verwandelten sich so in Stunden erzwungnen Müßiggangs, welche den jungen Arbeiter in die Kneipe und die junge Arbeiterin in das Bordell trieben. Bei jedem neuen Einfall, den der Kapitalist täglich ausheckte, um seine Maschinerie ohne Vermehrung des Arbeiterpersonals 12 oder 15 Stunden im Gang zu halten, hatte der Arbeiter bald in diesem Stück Zeitabfall, bald in jenem seine Mahlzeit einzuschlucken. Zur Zeit der Zehnstundenagitation schrien die Fabrikanten, das Arbeiterpack petitioniere, in der Erwartung, zwölfstündigen Arbeitslohn für zehnstündige Arbeit zu erhalten. Sie hatten jetzt die Medaille umgekehrt. Sie zahlten zehnstündigen Arbeitslohn für zwölf- und fünfzehnstündige Verfügung über die Arbeitskräfte! Dies war des Pudels Kern, dies die Fabrikantenausgabe des Zehnstundengesetzes

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Marx trat bekanntlich für den sogenannten Normalarbeitstag ein: Höchstens acht Stunden, völliges Verbot von Überstunden, Verbot der Akkordarbeit, Nachtarbeit, Schichtarbeit und Sonntagsarbeit, sowie affirmative action-Regelungen für Jugendliche und Frauen. Diese Position zielte nicht zuletzt darauf, den Lohnabhängigen die Teilnahme an der Zivilisation zu ermöglichen. Für Marx war es selbstverständlich, daß dies eine allgemeine Voraussetzung für alle weiteren Kämpfe ist.

Obwohl diese Zivilisation auch eine „Nachtseite“ (Adorno) hat, gibt es keinen Grund, sich von einer Aufhebung aller Schutzregelungen etwas zu erhoffen. Für ihre Verteidigung gibt es gute Gründe. Sie macht allerdings nur Sinn, wenn sie nicht als Verteidigung „deutscher Arbeitsplätze“ gegen die „ausländische Konkurrenz“ gedacht wird. 

Da die Auseinandersetzung um die Arbeitszeit von den Mehrheitsdeutschen aber genau so geführt wird, ist jede Hoffnung auf eine Schwächung der bundesdeutschen Leistungsschau vergebens. Die einzige „Forderung“ die in dieser Situation angebracht wäre, müßte dann auch eine Provokation sein: „Einkauf während der Arbeitszeit - wie damals in der DDR.“   


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